Zwischen Monotonie und Elend oder Zeit und Langeweile als Erkenntnis und Zustand

mima

„Die gründlichste Antwort auf die Frage nach der Fortdauer des Individuums nach dem Tode liegt in Kants großer Lehre von der Idealität der Zeit, als welche gerade hier sich besonders folgenreich und fruchtbar erweist, indem sie, durch eine völlig theoretische aber wohlerwiesene Einsicht, Dogmen, die auf dem einen wie auf dem andern Wege zum Absurden führen, ersetzt und so die excitirendeste aller metaphysischen Fragen mit einem Male beseitigt.

Anfangen, Enden und Fortdauern sind Begriffe, welche ihre Bedeutung einzig und allein von der Zeit entlehnen und folglich nur unter Voraussetzung dieser gelten.

Allein die Zeit hat kein absolutes Daseyn, ist nicht die Art und Weise des Seyns an sich der Dinge, sondern bloß die Form unserer Erkenntniß von unserm und aller Dinge Daseyn und Wesen, welche eben dadurch sehr unvollkommen und auf bloße Erscheinungen beschränkt ist.

In Hinsicht auf diese allein also finden die Begriffe von Aufhören und Fortdauern Anwendung, nicht in Hinsicht auf das in ihnen sich Darstellende, das Wesen an sich der Dinge, auf welches angewandt jene Begriffe daher keinen Sinn mehr haben. Dies zeigt sich denn auch daran, daß eine Beantwortung der von jenen Zeit-Begriffen ausgehenden Frage unmöglich wird und jede Behauptung einer solchen, sei sie auf der einen oder der andern Seite, schlagenden Einwürfen unterliegt…

Ueberdies ließe sich nun aber noch in Erwägung bringen, daß die Individualität der meisten Menschen eine so elende und nichtswürdige ist, daß sie wahrlich nichts daran verlieren, und daß was an ihnen noch einigen Werth haben mag, das allgemein Menschliche ist: diesem aber kann man die Unvergänglichkeit versprechen.

Ja, schon die starre Unveränderlichkeit und wesentliche Beschränkung jeder Individualität, als solcher, müßte, bei einer endlosen Fortdauer derselben, endlich, durch ihre Monotonie, einen so großen Ueberdruß erzeugen, daß man, um ihrer nur entledigt zu seyn, lieber zu Nichts würde. Unsterblichkeit der Individualität verlangen, heißt eigentlich einen Irrthum ins Unendliche perpetuiren wollen. Denn im Grunde ist doch jede Individualität nur ein specieller Irrthum, Fehltritt, etwas das besser nicht wäre, ja, wovon uns zurückzubringen der eigentliche Zweck des Lebens ist.“

Aus: A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung Band 2

 

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