Was ist ein Flaneur?

Wer nach dem Wort Flaneur sucht wird schnell fündig. 19, 20, 21 bedeutet Paris, Berlin, Wien. Jedes Jahrhundert hatte seine Stadt als Musterbeispiel für Flaneure und heute auch Flaneusen. Und zusätzlich ist der Flaneur heute auch im Internet zu finden wie wir lesen können.

Wer hin- und herschaut ohne zu suchen im Internet, ist ein digitaler Flaneur, der überall zu hause ist? So ist der Begriff wie so vieles endgültig für alles da und damit für nichts mehr zu gebrauchen.

Aber Flanieren kann ja auch mehr sein, eine Haltung zum Umgang mit Zeit, Orten und Situationen zum Beispiel. Hinzu kommt, daß das Flanieren schon mit dem zu Fuß gehen in Großstädten mit Passagen und Gebäuden und Parkanlagen zu tun hat.

Wer digital surft, ist für mich ein Surfer oder Nomade aber kein Flaneur.

Aber gut – das ist meine Meinung, die ich aus der Entstehungsgeschichte ableite.

Es ist ähnlich wie bei der Streetfotografie. Wenn alles Streetfotografie ist, dann ist nichts mehr Streetfotografie oder beim Coaching, wenn alles Coaching ist, dann ist nichts mehr Coaching.

Eigentlich waren Wörter dazu da, um die Dinge zu unterscheiden. Heute sind sie da, um als Hashtag, als Suchbegriff, den Suchmaschinen das Leben zu erleichtern, wohlgemerkt nicht den Menschen.

Und beim Flaneur ist es ähnlich.

Es gibt heute so viele Webseiten, Blogs, Artikel, Weine, Essen, Food, Events und mehr, wo weltweit das Wort Flaneur benutzt wird, daß eins sicher ist: tot ist das Flanieren und der Flaneur sicher nicht als Typus und Methode, um zu entdecken und zu sehen, wobei unklar ist, ob es eher um Langsamkeit oder Bewegung geht oder der Ausgleich das Geheimnis ist.

Bemerkenswert vermarktet wird dieser unbestimmte Begriff in Basel:

„BASEL KAUFT EIN!

Der Flâneur (beiden Geschlechts) ist ein Spaziergänger, ein Erkunder der Stadt, ein Geniesser der Strasse. Zu solchem Flanieren lädt Basel geradezu ein. Die Basler Kantonalbank setzt sich gemeinsam mit Pro Innerstadt Basel seit vielen Jahren für eine attraktive und lebensfreundliche Stadt ein. Die neueste Frucht dieser Zusammenarbeit ist die Publikation des Shopping-Magazins BASEL KAUFT EIN!, welche im Rahmen des Flâneur-Festivals lanciert wird.“

Das wäre ja ein Grund, dorthin zu fahren, wenn es dort mit dem Euro wieder bezahlbar wird…

Aber es wird noch besser.

Bei Shanghai Flaneur wird das Gehen bzw. „Wandern“ in der Stadt als Methode für Wissenstransfer angeboten: „SHANGHAI FLANEUR uses walking as a methodology to transfer knowledge“

Das Wort ist umgangssprachlich so populär wie das Wort Zeitgeist und entsprechend weltweit in Gebrauch.

Wußten Sie das?

Nun denn!

Damit kehre ich zurück zu meinem Ansatz des Themas und frage, was ist überhaupt ein Flaneur?

Gerhard Hentschel hat das vor 18 Jahren einmal so zusammengefaßt: „Die Erforschung der Frage, wann der Flaneur von uns gegangen sei oder ob er nicht sogar noch lebe und flaniere, hat sich zu einem eigenen Wissenschaftszweig ausgewachsen. Da der Flaneur kein normalsterbliches Individuum ist, sondern ein Typus, helfen die verfeinerten Methoden der medizinischen Diagnostik den Fachleuten nicht weiter.… Ein brandneues Werk aus Kalifornien (Anke Gleber: „The Art of Taking a Walk“) weist nach, dass der Flaneur Träumer, Historiker und moderner Künstler gewesen sei.“

Den Flaneur in die Fotografie hat Susan Sontag eingeführt.

Seitdem wird das Etikett Flaneur immer öfter dort draufgeklebt, wo Fotografie drin ist, wobei wahrscheinlich Streetphotography auf noch mehr Etiketten steht.

Der Flaneur hat sich in der Literatur niedergeschlagen als Typus mit seinem Auftritt und Erscheinungsbild.

Daher ist es aus meiner Sicht nur logisch, wenn sich hier fotografisches Feuilleton in Text und Bild als Ergebnis der Flanerei bzw. des Flanierens wiederfindet.

Und um das Ganze noch etwas philosophisch zu umrahmen, möchte ich mit einem Text von Rüdiger Safranski weitermachen, der über Arthur Schopenhauer schreibt: „Er gerät nicht in die Gefahr funkelnde Selbstinszenierung und Wahrheit miteinander zu verwechseln… Die eine Maske genügt ihm: philosophischer Zaungast zu sein bei dem manchmal grausamen Karneval des Lebens.”

Dass hört sich an wie ein philosophischer Flaneur seiner Zeit.

In diesem Sinne verstehe ich mich als Typus oder als Mensch mit der Methode des Flanierens, der sich hier digital einbringt mit Text und Bild.

Hans-Joachim Ellerbrock hat einen sehr schönen Text auf joell.de formuliert, in dem er Streuner und Flaneur beschreibt: „Im Herumschweifen mögen sich diese beiden Charaktere ähneln, ihre Voraussetzungen unterscheiden sich. Den Streuner umgibt etwas Heimatloses, Vertriebenes. … Der Flaneur ist nicht hungrig. … Und wohin führt uns das? Der Straßenfotograf ist sich darüber im Klaren, das sein Anliegen aus beiden Wesensarten genährt wird…. Ein Fotograf wird versuchen, die sich aus seinen Erfahrungen und Erlebnissen ergebende Quersumme in Botschaften entlang seiner eigenen Erkenntnisse zu verdichten. Dann dort liegen seine Fähigkeiten. Keine einfache Aufgabe in einer Welt, in der die Bildbotschaft ein kurzlebiges, löschbares Produkt geworden ist. Dennoch bleibt die Fotografie ein geeignetes Mittel, um Gesellschaften zu bespiegeln.“

Ich finde diese Formulierung sehr schön und sehr erfahren. So hängen soziale Rollen und Einstellungen auch mit Themen in der Fotografie zusammen.

Beenden möchte ich diesen Text mit einem Gedanken von Franz Hessel: „Flanieren ist eine Art Lektüre der Straße.“

Na dann viel Spaß beim Lesen!