Heterodoxien
Heterodoxien sind abweichende Meinungen. Schon da zeigt sich, daß dieses Wort mehrdimensional ist. Heterogen bedeutet verschieden, abweichend bedeutet, es gibt eine dominierende Richtung, bedeuten bedeutet ich deute etwas.
„Seitdem Menschen denken, liegen überall die sämmtlichen philosophischen Systeme im Streit und sind einander zum Theil diametral entgegengesetzt; und seitdem Menschen glauben (welches noch länger her ist), bekämpfen einander die Religionen mit Feuer und Schwerdt, mit Exkommunikationen und Kanonen. Für sporadische Heterodoxe aber gab es, zur Zeit des recht lebendigen Glaubens, nicht etwan Narrenhäuser, sondern Inquisitionsgefängnisse, nebst Zubehör.“
So klar ist das Urteil von Arthur Schopenhauer in seiner Schrift „Ueber die zweite Klasse der Objekte für das Subjekt und die in ihr herrschende Gestaltung des Satzes vom zureichenden Grunde“
Und dann kommt er schon auf die Kirche zu sprechen: „Aber wissen die Herren auch, was es an der Zeit ist? – Eine längst prophezeite Epoche ist eingetreten: die Kirche wankt, wankt so stark, daß es sich fragt, ob sie den Schwerpunkt wiederfinden werde: denn der Glaube ist abhanden gekommen. Ist es doch mit dem Licht der Offenbarung wie mit andern Lichtern: einige Dunkelheit ist die Bedingung. Die Zahl Derer, welche ein gewisser Grad und Umfang von Kenntnissen zum Glauben unfähig macht, ist bedenklich groß geworden. Dies bezeugt die allgemeine Verbreitung des platten Rationalismus, der sein Bulldogsgesicht immer breiter auslegt. Die tiefen Mysterien des Christenthums, über welche die Jahrhunderte gebrütet und gestritten haben, schickt er sich ganz gelassen an, mit seiner Schneiderelle auszumessen und dünkt sich wunderklug dabei. Vor Allem ist das Christliche Kerndogma, die Lehre von der Erbsünde, bei den rationalistischen Plattköpfen zum Kinderspott geworden; weil eben ihnen nichts klarer und gewisser dünkt, als daß das Daseyn eines Jeden mit seiner Geburt angefangen habe, daher er unmöglich verschuldet auf die Welt gekommen seyn könne. Wie scharfsinnig! – Und wie, wenn Verarmung und Vernachlässigung überhand nehmen, dann die Wölfe anfangen sich im Dorfe zu zeigen; so erhebt, unter diesen Umständen, der stets bereit liegende Materialismus das Haupt und kommt, mit seinem Begleiter, dem Bestialismus (von gewissen Leuten Humanismus genannt), an der Hand, heran. – Mit der Unfähigkeit zum Glauben wächst das Bedürfniß der Erkenntnis Es giebt einen Siedepunkt auf der Skala der Kultur, wo aller Glaube, alle Offenbarung, alle Auktoritäten sich verflüchtigen, der Mensch nach eigener Einsicht verlangt, belehrt, aber auch überzeugt seyn will. Das Gängelband der Kindheit ist von ihm gefallen: er will auf eigenen Beinen stehn. Dabei aber ist sein metaphysisches Bedürfniß (Welt als W. und V., B. 2, Kap. 17) so unvertilgbar, wie irgend ein physisches. Dann wird es Ernst mit dem Verlangen nach Philosophie, und die bedürftige Menschheit ruft alle denkenden Geister, die sie jemals aus ihrem Schooß erzeugt hat, an. Mit hohlem Wortkram und impotenten Bemühungen geistiger Kastraten ist da nicht mehr auszureichen; sondern es bedarf dann einer ernstlich gemeinten, d. h. einer auf Wahrheit, nicht auf Gehalte und Honorare gerichteten Philosophie, die daher nicht frägt, ob sie Ministern oder Räthen gefalle, oder dieser oder jener Kirchenpartei der Zeit in ihren Kram passe; sondern an den Tag legt, daß der Beruf der Philosophie ein ganz anderer sei, als eine Erwerbsquelle für die Armen am Geiste abzugeben.“
Dies alles veröffentlichte Schopenhauer 1813 als Dissertation. Da wären wohl heute erst mal Plagiatsjäger mit künstlicher Intelligenz am Werk bis der PC heißläuft…
Aber zu Recht wird ja auf die Streitereien als wesentliches Kennzeichen der menschlichen Welt hingewiesen.
In der Philosophie und Religion wird dies besonders deutlich.
Gut 100 Jahre nach Schopenhauer hat es Michel Onfray auf den Punkt gebracht:
„Das Alte Testament kommt auf rund 3500 Seiten, das Neue Testament auf rund 900 Seiten und der Koran auf rund 750 Seiten… Alle drei grundlegenden Bücher sind voller Widersprüche. Jede Aussage wird oft noch im gleichen Atemzug wieder zurückgenommen… Jude, Christ oder Muslim – jeder schöpft nach seinem Belieben aus der Thora, den Evangelien oder dem Koran und findet dort nach Bedarf, was er braucht….“
Die EKD in Deutschland ist mittlerweile eine grünlinke Kampforganisation geworden und das schwarze Loch bei Katholiken und Protestanten scheint der massenhafte sexuelle Mißbrauch zu sein. Mehr zum Thema Religion erspare ich mir.
Aber auch heute leben wir wie immer schon in einer Zeit voller Heterodoxien mit immer mehr Fotografien.
Wir können dem nicht entfliehen…
Aber wer von der fixen Idee besessen ist, auf alles eine Antwort zu wissen, bringt sich selbst nur in Schwierigkeiten.
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