Mehr Glück im Jetzt

mima

„Einige Fotografen glauben, dass sie mit dem Fotografieren menschlichen Elends ein ernstes Problem angehen. Ich glaube nicht, dass das Elend wichtiger ist als das Glück.“

Saul Leiter

Darf man glücklich sein? Darf man einfach da sein?

„Weber erkannte 1914 kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs ganz richtig, dass der Aufstieg des Westens im Grunde auf den Aufstieg der protestantischen Welt zurückzuführen ist: in England, den Vereinigten Staaten, dem von Preußen geeinten Deutschland sowie in Skandinavien. Frankreichs großes Glück bestand damals darin, dass es geografisch mit dieser Spitzengruppe verbunden war. Der Protestantismus hatte ein hohes Bildungsniveau hervorgebracht, das es so in der Menschheitsgeschichte noch nie gegeben hatte. Außerdem eine universelle Alphabetisierung, weil er verlangte, dass jeder Gläubige in der Lage sein müsse, die Heiligen Schriften selbst zu lesen. Hinzu kam die Angst vor der Verdammnis und das Bedürfnis, sich als Auserwählter Gottes fühlen zu können. Das führte zu einer Arbeitsethik und einer starken individuellen und kollektiven Moral. In negativer Hinsicht allerdings auch zum schlimmsten Rassismus, den es je gegeben hat – der sich in den USA gegen die Schwarzen, in Deutschland gegen die Juden richtete – da sich der Protestantismus, mit seinen Erwählten und Verdammten, gegen die katholische Gleichheit aller Menschen wandte. Symmetrisch dazu hat nun der in letzter Zeit zu beobachtende Zusammenbruch des Protestantismus einen intellektuellen Niedergang verursacht, eine schwindende Arbeitsethik und eine allgemeine Gier der Massen.“

Das sagt der Historiker Emmanuel Todd in einem Interview mit dem Titel„Drei Faktoren zeigen, dass der Westen besiegt ist“.

Weil ich noch aus der alten Arbeitsethik komme, bestimmt mich immer wieder die Frage nach dem Glück. Die protestantische Arbeitsethik wurde mir bei der Geburt implantiert und Reste davon sind heute noch in mir. Sie führte mich ins Elend und Unglück, weil ich daran glaubte und erst später erkannte, daß es nicht auf Können sondern auf Kennen ankommt.

Deshalb habe ich dann auch Saul Leiter zitiert, weil er zeigt, daß Glück und Arbeitsethik als entfremdete Arbeit nicht zusammengehören sondern oft zu Elend führen.

Ähnlich bei Kristen Butler, die schreibt: „Indem ich mir die Menschen, die aus ihrer Komfortzone heraus ein erfülltes Leben zu führen scheinen, genau anschaute, gelangte ich zu einer wichtigen Schlußfolgerung: Unsere Definition der Komfortzone und unsere Auffassung von ihr sind falsch… Wahrer, anhaltender Erfolg wird nicht außerhalb, sondern innerhalb unserer Komfortzone erzielt.“

Wobei Erfolg kein sozialer und materieller Erfolg sein muß, sondern auch der Umgang mit sich selbst sein kann z.B. eine gelungene Selbstfürsorge.

Ich bin dorthin u.a. durch Lens on Life gekommen, also durch die Fotografie als Spiegel der Welt und den Blick auf mich bis zur Selbstreflexion.

Das ändert nichts an den Bedingungen des Daseins, aber hilft manchmal die Dinge besser tragen zu können oder Nichtstun als wesentliche sprituelle Erfahrung zu leben.

Was hier in ein paar Zeilen steht, war für mich eine Wegstrecke, die länger als 50 Jahre dauerte.

Was genau gemeint ist, erfahren wir aus den Notizen über ein Gespräch, das John Berger mit Henri Cartier-Bresson (HCB) führte:

HCB fragt:

„Kennen Sie die zenbuddhistische Abhandlung über das Bogenschießen? Georges Braque hat sie mir 43 gegeben.

Leider nicht.

Es ist ein Seinszustand, eine Frage der Offenheit, der Selbstvergessenheit.

Man zielt blind?

Nein, da ist die Geometrie. Man verändert seine Position um einen Millimeter, und die Geometrie ändert sich.

Was Sie Geometrie nennen, ist das die Ästhetik?

Ganz und gar nicht. Es ist eher das, was Mathematiker und Physiker Eleganz nennen, wenn sie eine Theorie diskutieren.

Wenn ein Ansatz elegant ist, führt er vielleicht in die Nähe dessen, was wahr ist.

Und die Geometrie?

Die Geometrie kommt aufgrund des Goldenen Schnitts ins Spiel. Doch Berechnung ist nutzlos. Wie Cézanne gesagt hat: »Wenn ich anfange zu denken, ist alles verloren.« Worauf es bei einem Foto ankommt, ist seine Fülle und seine Schlichtheit.“

Aus: John Berger, Der Augenblick der Fotografie, Essays

Zum Abschluß möchte ich noch einmal Kirsten Butler zitieren: „Es gibt eine berühmte Geschichte über Marilyn Monroe, die Milton Greene, ihr persönlicher Fotograf, nach ihrem Tod erzählte.

Marilyn und Milton spazierten durch New York City, eine Stadt, die Marilyn liebte, weil sie dort anonym bleiben konnte. Sie trug ihre Alltagskleidung und kein Make-up. Die Menschen gingen an ihr vorbei, ohne einen zweiten Blick auf sie zu werfen. Niemand erkannte sie. Sie wandte sich dann Milton Greene zu und fragte:

»Möchtest du sehen, wie ich mich in sie verwandele?« Greene wusste nicht, was sie meinte, sagte aber Ja. Innerhalb weniger Sekunden vollzog Monroe einen subtilen, fast unmerklichen Wandel.

Doch mit einem Mal fuhren die Autos langsamer, und die Leute begannen, sie anzustarren. So als wäre ein Schleier gelüftet und ihre Identität enthüllt worden, wussten sie plötzlich, wer sie war.

Ich liebe diese Geschichte, weil sie deutlich macht, dass sich unsere Art, mit der Welt um uns herum zu interagieren, abhängig davon verändert, wie wir uns zeigen, oder genauer, als wer wir uns zeigen. Unsere Interaktion mit der uns umgebenden Welt beginnt auf einer unsichtbaren, energetischen Ebene. Deswegen heißt es, dass die Welt uns spiegelt.“

In diesem Sinne

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