Dazwischenkunft

mima


Leben heisst dazwischen sein, davor und danach.

„Dennoch bietet der vom Willen unbestochenen Erkenntniß keine Frage sich natürlicher dar, als diese: eine unendliche Zeit ist vor meiner Geburt abgelaufen; was war ich alle jene Zeit hindurch? – Metaphysisch ließe sich vielleicht antworten: »Ich war immer Ich: nämlich Alle, die jene Zeit hindurch Ich sagten, die waren eben Ich.« Allein hievon sehen wir aus unserm, vor der Hand noch ganz empirischen Standpunkt ab und nehmen an, ich wäre gar nicht gewesen. Dann aber kann ich mich über die unendliche Zeit nach meinem Tode, da ich nicht seyn werde, trösten mit der unendlichen Zeit, da ich schon nicht gewesen bin, als einem wohl gewohnten und wahrlich sehr bequemen Zustande. Denn die Unendlichkeit a parte post ohne mich kann so wenig schrecklich seyn, als die Unendlichkeit a parte ante ohne mich; indem beide durch nichts sich unterscheiden, als durch die Dazwischenkunft eines ephemeren Lebenstraums. Auch lassen alle Beweise für die Fortdauer nach dem Tode sich eben so gut in partem ante wenden, wo sie dann das Daseyn vor dem Leben demonstriren, in dessen Annahme Hindu und Buddhaisten sich daher sehr konsequent beweisen. Kants Idealität der Zeit allein löst alle diese Räthsel: doch davon ist jetzt noch nicht die Rede. Soviel aber geht aus dem Gesagten hervor, daß über die Zeit, da man nicht mehr seyn wird, zu trauern, eben so absurd ist, als es seyn würde über die, da man noch nicht gewesen: denn es ist gleichgültig, ob die Zeit, welche unser Daseyn nicht füllt, zu der, welche es füllt, sich als Zukunft oder Vergangenheit verhalte.

Aber auch ganz abgesehen von diesen Zeitbetrachtungen, ist es an und für sich absurd, das Nichtseyn für ein Uebel zu halten; da jedes Uebel, wie jedes Gut, das Daseyn zur Voraussetzung hat, ja sogar das Bewußtseyn; dieses aber mit dem Leben aufhört, wie eben auch im Schlaf und in der Ohnmacht; daher uns die Abwesenheit desselben, als gar keine Uebel enthaltend, wohl bekannt und vertraut, ihr Eintritt aber jedenfalls Sache eines Augenblicks ist. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtete Epikur den Tod und sagte daher ganz richtig ὁ ϑανατος μηδεν πϱος ἡμας (der Tod geht uns nichts an); mit der Erläuterung, daß wann wir sind, der Tod nicht ist, und wann der Tod ist, wir nicht sind ( Diog. Laert., X, 27). Verloren zu haben was nicht vermißt werden kann, ist offenbar kein Uebel: also darf das Nichtseynwerden uns so wenig anfechten, wie das Nichtgewesenseyn.“

Schopenhauer pur.

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