NICHTS als Kern der Welt oder warum die Philosophie die realste Wissenschaft ist

mima

Das zu verstehen bedeutet dies zu leben:

„Der Mystiker steht zum Philosophen dadurch im Gegensatz, daß er von Innen anhebt, dieser aber von Außen. Der Mystiker nämlich geht aus von seiner innern, positiven, individuellen Erfahrung, in welcher er sich findet als das ewige, alleinige Wesen u. s. f. Aber mittheilbar ist hievon nichts, als eben Behauptungen, die man auf sein Wort zu glauben hat: folglich kann er nicht überzeugen. Der Philosoph hingegen geht aus von dem Allen Gemeinsamen, von der objektiven, Allen vorliegenden Erscheinung, und von den Thatsachen des Selbstbewußtseyns, wie sie sich in Jedem vorfinden. Seine Methode ist daher die Reflexion über alles Dieses und die Kombination der darin gegebenen Data: deswegen kann er überzeugen. Er soll sich daher hüten, in die Weise der Mystiker zu gerathen und etwan, mittelst Behauptung intellektueller Anschauungen, oder vorgeblicher unmittelbarer Vernunftvernehmungen, positive Erkenntniß von Dem vorspiegeln zu wollen, was, aller Erkenntniß ewig unzugänglich, höchstens durch eine Negation bezeichnet werden kann. Die Philosophie hat ihren Werth und ihre Würde darin, daß sie alle nicht zu begründenden Annahmen verschmäht und in ihre Data nur Das aufnimmt, was sich in der anschaulich gegebenen Außenwelt, in den unfern Intellekt konstituirenden Formen zur Auffassung derselben und in dem Allen gemeinsamen Bewußtseyn des eigenen Selbst sicher nachweisen läßt. Dieserhalb muß sie Kosmologie bleiben und kann nicht Theologie werden. Ihr Thema muß sich auf die Welt beschränken: was diese sei, im tiefsten Innern sei, allseitig auszusprechen, ist Alles, was sie redlicherweise leisten kann. – Diesem nun entspricht es, daß meine Lehre, wann auf ihrem Gipfelpunkte angelangt, einen negativen Charakter annimmt, also mit einer Negation endigt. Sie kann hier nämlich nur von Dem reden, was verneint, aufgegeben wird: was dafür aber gewonnen wird, ist sie genöthigt (am Schlusse des vierten Buchs) als Nichts zu bezeichnen, und kann bloß den Trost hinzufügen, daß es nur ein relatives, kein absolutes Nichts sei. Denn, wenn etwas nichts ist von allen Dem, was wir kennen; so ist es allerdings für uns überhaupt nichts. Dennoch folgt hieraus noch nicht, daß es absolut nichts sei, daß es nämlich auch von jedem möglichen Standpunkt aus und in jedem möglichen Sinne nichts seyn müsse; sondern nur, daß wir aus eine völlig negative Erkenntniß desselben beschränkt sind; welches sehr wohl an der Beschränkung unsers Standpunkts liegen kann. – Hier nun gerade ist es, wo der Mystiker positiv verfährt, und von wo an daher nichts, als Mystik übrig bleibt. Wer inzwischen zu der negativen Erkenntniß, bis zu welcher allem die Philosophie ihn leiten kann, diese Art von Ergänzung wünscht, der findet sie am schönsten und reichlichsten im Oupnethat, sodann in den Enneaden des Plotinos, im Scotus Erigena, stellenweise im Jakob Böhm, besonders aber in dem wundervollen Werk der Guion, Les torens, und im Angelus Silesius, endlich noch in den Gedichten der Sufi, von denen Tholuk uns eine Sammlung in Lateinischer und eine andere in Deutscher Uebersetzung geliefert hat, auch noch in manchen andern Werken. Die Sufi sind die Gnostiker des Islams; daher auch Sadi sie mit einem Worte bezeichnet, welches durch »Einsichtsvolle« übersetzt wird. Der Theismus, aus die Kapacität der Menge berechnet, setzt den Urquell des Daseyns außer uns, als em Objekt: alle Mystik, und so auch der Sufismus, zieht ihn, auf den verschiedenen Stufen ihrer Weihe, allmälig wieder ein, in uns, als das Subjekt, und der Adept erkennt zuletzt, mit Verwunderung und Freude, daß er es selbst ist. Diesen, aller Mystik gemeinsamen Hergang finden wir von Meister Eckhard, dem Vater der Deutschen Mystik, nicht nur in Form einer Vorschrift für den vollendeten Asketen ausgesprochen, »daß er Gott außer sich selbst nicht suche« (Eckhards Werke, herausgegeben von Pfeiffer, Bd. 1, S. 626); sondern auch höchst naiv dadurch dargestellt, daß Eckhards geistige Tochter, nachdem sie jene Umwandelung an sich erfahren, ihn aussucht, um ihm jubelnd entgegenzurufen: »Herr, freuet Euch mit mir, ich bin Gott geworden!« (Ebendas. S. 465). Eben diesem Geiste gemäß äußert sich durchgängig auch die Mystik der Sufi hauptsächlich als ein Schwelgen in dem Bewußtseyn, daß man selbst der Kern der Welt und die Quelle alles Daseyns ist, zu der Alles zurückkehrt. Zwar kommt dabei die Aufforderung zum Aufgeben alles Wollens, als wodurch allein die Befreiung von der individuellen Existenz und ihren Leiden möglich ist, auch oft vor, jedoch untergeordnet und als etwas Leichtes gefordert. In der Mystik der Hindu hingegen tritt die letztere Seite viel stärker hervor, und in der Christlichen Mystik ist diese ganz vorherrschend, so daß jenes Pantheistische Bewußtseyn, welches aller Mystik wesentlich ist, hier erst sekundär, in Folge des Aufgebens alles Wollens, als Vereinigung mit Gott eintritt. Dieser Verschiedenheit der Auffassung entsprechend hat die Mohammedanische Mystik einen sehr heitern Charakter, die Christliche einen düstern und schmerzlichen, die der Hindu, über Beiden stehend, hält auch in dieser Hinsicht die Mitte.“

Arthur Schopenhauer

 

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