Langsamkeit bei Fotografie und Lesen

mima

„Die Kunst, Werke der Literatur zu analysieren, ist beinahe genauso veraltet wie der Holzschuhtanz. Eine ganze Tradition, die Nietzsche als »langsames Lesen« bezeichnete, läuft Gefahr, in der Bedeutungslosigkeit zu versinken.“

Was Terry Eagleton hier für das Lesen feststellt, kann man genauso auf das Fotografieren anwenden.

Als ob Langsamkeit in der Wahrnehmung schlecht und Schnelligkeit gut wäre!

Ich erinnere nur an die wunderbaren Worte bei Sten Nadolny´s „Die Entdeckung der Langsamkeit“:

„Ferner war ihm aufgefallen, daß Akaitcho ihn sogleich als den Höchstrangigen erkannt und ihm gegenüber Platz genommen hatte, obwohl er nicht in der Mitte sass. Er befragte St. Germain darüber. „Der Häuptling war der Meinung, daß sie mehrere Leben haben, Sir: wegen ihrer Stirnnarbe und, verzeihen Sie, wegen ihres – Reichtums an Zeit. Und wer unsterblich ist, muß der Chef sein. So dumm sind die Indianer!“. John sah den Dolmetscher düster an. „Woher wissen Sie, daß der Häuptling irrt?“

Als ich mich entschloss, als wupperlens 2.0 zum zwangfreien Gehen ohne Ziel als Flaneur zu wechseln (der Weg ist dabei das Ziel), da wechselte ich auch von der Schnelligkeit zur Langsamkeit. Das dauert natürlich und ist von der inneren und äußeren Verfasstheit abhängig.

Fotografie und Langsamkeit empfinde ich als Wohltat.

Kommunikation als schnelle Kommunikation, als soziale Kommunikation setzt Sprechen und Zeigen auf Knopfdruck bzw. Berührung voraus – siehe Smartphone als beste Lösung.

Aber das ist doch nicht alles – oder doch?

Zumindest Vertreter der Aufmerksamkeitsökonomie würden sagen, daß gerade in der Kommunikation der Sinn sogar des eigenen Lebens liegt.

Also nicht mehr der Weg ist das Ziel sondern die Kommunikation ist das Ziel, nicht das Ergebnis.

Man kann es unterschiedlich betrachten.

Für mich ist die Langsamkeit das Kontrastprogramm zur Aufmerksamkeitsökonomie. Ich halte es für wichtig, weil der Sinn der Existenz nicht in der Aufmerksamkeit durch soziale Anerkennung im social network liegt sondern im Gleichgewicht, das schwer genug zu erlangen ist wie die „Fahrradspiritualität“ mir vor Augen führt.

Manuelles Fotografieren ist langsames Fotografieren und führt zu den fast mediativen Erfahrungen – mit und ohne Sucher.

Aber es muß nicht manuell sein. Es kommt auch auf die Motive an. Meine Blumenfotos mit den wunderbaren Blüten in der Makrowelt sind immer ein Ergebnis einer langsamen Annäherung an das Motiv und die Aufnahme, die gelingen soll.

Die Blume durchbricht die Welt der vernebelten Sinne oder in den wunderbaren Worten von John Berger:

„Jedenfalls leben wir in einer Welt des Leidens, in der das Böse grassiert, in einer Welt, die unser Dasein nicht bestätigt, in einer Welt, der wir widerstehen müssen. In dieser Situation gibt uns der ästhetische Augenblick Hoffnung. Daß wir einen Kristall oder eine Mohnblume schön finden, bedeutet, daß wir weniger allein sind, daß wir tiefer in die Gesamtexistenz einbezogen sind, als es uns der Ablauf eines einzigen Lebens glauben lassen würde…“

Dies alles geht nur, wenn man bei sich ist, also im eigenen Rhythmus, der eigenen Schnelligkeit oder Langsamkeit. Es ist die selbstbestimmte Freiheit, die aus dieser Langsamkeit erwächst – beim Lesen und beim Fotografieren.

 

One thought on “Langsamkeit bei Fotografie und Lesen

  1. Das tut gut zu lesen, und wie wahr…
    Es ist ja auch tatsächlich nichts Neues, aber wir verlernen, es auch zu üben, denn nichts klappt einfach so.
    Herzlichen Dank für die Initialisierung, sowas braucht man einfach ab und an!

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