Die echte Flanerie ist eine Kunst und eine Wissenschaft

mima
Flaneur Berlin Foto Mahlke

Die Artikelüberschrift ist ein Zitat. Es stammt aus einem großartigen Buch. Dort finden wir den Flaneur erklärt. Eine Flaneuse hat es früher nicht gegeben, weil das Flanieren aus sozialen Gründen eine sehr männliche Tätigkeit war. Heute ist im Zeitalter von drei Geschlechtern und anderen sozialen Verhältnissen im abendländischen Denken natürlich alles anders.

Der Flaneur paßt sich dem Rhythmus der Stadt nicht an. Langsamkeit ist sein Kennzeichen. Er ist Experte von Konstanten und Veränderungen „wie die Veränderungen der Menschen, der Architektur, der Stimmung, der Dinge und des Ambientes“ (H. Haas).

Neudeutsch wären dies soziale Landschaften und soziale Fotografie.

Der Flaneur ist kein Gaffer, der nach Ereignissen sucht. Der Flaneur ist ein Chronist, der durch Offenheit Veränderungen wahrnehmen kann. Deshalb ist er auch nicht immer woanders sondern immer wieder da, wo er mal war.

Wenn der Flaneur eine Kamera dabei hat, dann ist das Festhalten der sozialen Landschaft und der Veränderungen darin eine Variante der Chronologie.

Er hält sich verändernde oder typische soziale Zustände und Handlungen fest.

Es kann auch Streetfotografie sein. Dann geht es um Momente beim Sehen: „„Die Street Photography begreift sich in der Regel als diejenige Fotografie, die im öffentlichen Raum geschieht…. Der Fotograf nutzt dabei die Realität, um daraus seine eigene Bildrealität zu erzeugen. Menschen und Gegenstände, die oft nichts miteinander zu tun haben, werden in einem Augenblick festgehalten, in dem sie in einer speziellen Beziehung zueinander stehen. Die Kunst ist es, einen solchen Moment aus dem Kontinuum der Zeit herauszulösen und damit eine neue Realität zu schaffen.“

Wenn Streetfotografie diese neue Realität konstruiert, dann kann daraus Straßenfotografie im besten Sinne werden. Dann ist der Flaneur auch Streetfotograf.

Es ist eben nicht die Suche nach puren Ereignissen, dem Gaffen bis etwas passiert.

Als reine Ereignisfotografie könnte es sonst auch Gafferfotografie werden.

Der Flaneur ist aber kein Gaffer, der echte Mensch vielleicht schon.

Der Flaneur ist auch kein Streuner aber ein bißchen davon hat er schon.

Hans-Joachim Ellerbrock hat einen sehr schönen Text formuliert, in dem er Streuner und Flaneur beschreibt: “

„Im Herumschweifen mögen sich diese beiden Charaktere ähneln, ihre Voraussetzungen unterscheiden sich. Den Streuner umgibt etwas Heimatloses, Vertriebenes. … Der Flaneur ist nicht hungrig. … Und wohin führt uns das? Der Straßenfotograf ist sich darüber im Klaren, das sein Anliegen aus beiden Wesensarten genährt wird…. Ein Fotograf wird versuchen, die sich aus seinen Erfahrungen und Erlebnissen ergebende Quersumme in Botschaften entlang seiner eigenen Erkenntnisse zu verdichten. Dann dort liegen seine Fähigkeiten. Keine einfache Aufgabe in einer Welt, in der die Bildbotschaft ein kurzlebiges, löschbares Produkt geworden ist. Dennoch bleibt die Fotografie ein geeignetes Mittel, um Gesellschaften zu bespiegeln.“

Ich finde diese Formulierung sehr schön und sehr erfahren. So hängen soziale Rollen und Einstellungen auch mit Themen in der Fotografie zusammen.

Der Flaneur ist auch zwischen Äckern nicht vorstellbar, weil er eine Stadtperson ist, die im sozialen Fluß agiert. Und er geht nicht raus, um mit seinen Fotos Geld zu verdienen und dafür die Motive zu suchen, es ist eher umgekehrt.

Natürlich sind diese unterscheidenden Sätze in der Wirklichkeit so nicht immer darstellbar und eher eine gedankliche Trennung, die real auf Fotos und in Situationen nicht immer durchgehalten werden kann, sondern eher hinterher genutzt wird, wenn es um das Verstehen eines Fotos geht.

Aber genau hier wird klar, wie schön unterschieden werden kann zwischen Formen der Fotografie und warum nicht jeder Gaffer ein Flaneur und nicht jedes Strassenfoto Streetfotografie im hier beschriebenen Sinne ist.

Das alles interessiert aber nur den, der mehr will als drauflos zu knipsen und es interessiert nur Menschen, die ihrem Leben mit der Fotografie vielleicht einen Sinn geben wollen und sich fragen, welche Art zu leben sie leben wollen und welche Antworten früher darauf gegeben wurden.

Denn der Flaneur ist ein Stadttypus. Er kommt aus Paris.

Damals war Paris eine große Stadt und der Flaneur hatte dort seinen Platz. Flanierende Arbeiter waren undenkbar. Berlin war wesentlich kleiner als Paris und dort gab es eher Bummelanten als Flaneure.

Aber dies änderte sich im 20. Jhrdt..

Da kam der Flaneur auch nach Deutschland, nach Berlin.

Er manifestierte sich in dem Artikel „Die Wiederkehr des Flaneurs“ von Walter Benjamin. Benjamin schrieb darin über das Buch „Spazieren in Berlin“ von Franz Hessel.

Der Flaneur setzt eine Stadt voraus und Freiheit. Er ist keine Person der Diktatur und hinter Kopftuch und Religionen und Kulturen mit Bilderverboten wie vielen Strömungen im Islam nicht vorstellbar – logisch.

Und heute?

Heute ist der Flaneur der Mensch mit den meisten technischen Möglichkeiten. Ob Smartphone oder Digitalkamera, ob Großtadt oder Kleinstadt, flanieren ermöglicht reflektieren und konstatieren – mental und fotografisch.

Womit und wie sind die spannenden Fragen?

Das geschieht an anderer Stelle.

 

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