Der Optimismus ist eine verderbliche Lehre
„Der Optimismus ist im Grunde das unberechtigte Selbstlos des eigentlichen Urhebers der Welt, des Willens zum Leben, der sich wohlgefällig in seinem Werke spiegelt: und demgemäß ist er nicht nur eine falsche, sondern auch eine verderbliche Lehre. Denn er stellt uns das Leben als einen wünschenswerthen Zustand, und als Zweck desselben das Glück des Menschen dar. Davon ausgehend glaubt dann Jeder den gerechtesten Anspruch auf Glück und Genuß zu haben: werden nun diese, wie es zu geschehen pflegt, ihm nicht zu Theil; so glaubt er, ihm geschehe Unrecht, ja, er verfehle den Zweck seines Daseyns; – während es viel richtiger ist, Arbeit, Entbehrung, Noth und Leiden, gekrönt durch den Tod, als Zweck unsers Lebens zu betrachten (wie dies Brahmanismus und Buddhaismus, und auch das ächte Christenthum thun); weil diese es sind, die zur Verneinung des Willens zum Leben leiten. Im Neuen Testamente ist die Welt dargestellt als ein Jammerthal, das Leben als ein Läuterungsproceß, und ein Marterinstrument ist das Symbol des Christenthums. Daher beruhte, als Leibnitz, Shaftsbury, Bolingbroke und Pope mit dem Optimismus hervortraten, der Anstoß, den man allgemein daran nahm, hauptsächlich darauf, daß der Optimismus mit dem Christenthum unvereinbar sei; wie dies Voltaire, in der Vorrede zu seinem vortrefflichen Gedichte Le désastre de Lisbonne, welches ebenfalls ausdrücklich gegen den Optimismus gerichtet ist, berichtet und erläutert. Was diesen großen Mann, den ich, den Schmähungen feiler Deutscher Tintenklexer gegenüber, so gern lobe, entschieden höher als Rousseau stellt, indem es die größere Tiefe seines Denkens bezeugt, sind drei Einsichten, zu denen er gelangt war: 1) die von der überwiegenden Größe des Uebels und vom Jammer des Daseyns, davon er tief durchdrungen ist; 2) die von der strengen Necessitation der Willensakte; 3) die von der Wahrheit des Locke’schen Satzes, daß möglicherweise das Denkende auch materiell seyn könne; während Rousseau alles Dieses durch Deklamationen bestreitet, in seiner Proffession de fai du vicaire Savoyard, einer flachen protestantischen Pastorenphilosophie; wie er denn auch, in eben diesem Geiste, gegen das soeben erwähnte, schöne Gedicht Voltaire’s mit einem schiefen, seichten und logisch falschen Räsonnement, zu Gunsten des Optimismus, polemisirt, in seinem, bloß diesem Zweck gewidmeten, langen Briese an Voltaire, vom 18. August 1756. Ja, der Grundzug und das πϱωτον ψευδος der ganzen Philosophie Rousseau’s ist Dieses, daß er an die Stelle der christlichen Lehre von der Erbsünde und der ursprünglichen Verderbtheit des Menschengeschlechts, eine ursprüngliche Güte und unbegränzte Perfektibilität desselben setzt, welche bloß durch die Civilisation und deren Folgen aus Abwege gerathen wäre, und nun darauf seinen Optimismus und Humanismus gründet.
Wie gegen den Optimismus Voltaire, im Candide, den Krieg in seiner scherzhaften Manier führt, so hat es in seiner ernsten und tragischen Byron gethan, in seinem unsterblichen Meisterwerke Kain, weshalb er auch durch die Invektiven des Obskuranten Friedrich Schlegel verherrlicht worden ist. – Wollte ich nun schließlich, zur Bekräftigung meiner Ansicht, die Aussprüche großer Geister aller Zeiten, in diesem, dem Optimismus entgegengesetzten Sinne, hersetzen; so würde der Anführungen kein Ende seyn; da fast jeder derselben seine Erkenntniß des Jammers dieser Welt in starken Worten ausgesprochen hat. Also nicht zur Bestätigung, sondern bloß zur Verzierung dieses Kapitels mögen am Schlüsse desselben einige Aussprüche dieser Art Platz finden.
Zuvörderst sei hier erwähnt, daß die Griechen, so weit sie auch von der Christlichen und Hochasiatischen Weltansicht entfernt waren und entschieden auf dem Standpunkt der Bejahung des Willens standen, dennoch von dem Elend des Daseyns tief ergriffen waren. Dies bezeugt schon die Erfindung des Trauerspiels, welche ihnen angehört. Einen andern Beleg dazu giebt uns die, nachmals oft erwähnte, zuerst von Herodot (V, 4) erzählte Sitte der Thrakier, den Neugeborenen mit Wehklagen zu bewillkommnen, und alle Uebel, denen er jetzt entgegengehe, herzuzählen; dagegen den Todten mit Freude und Scherz zu bestatten, weil er so vielen und großen Leiden nunmehr entgangen sei“